2012

Impuls Aktionstag 5. Mai 2012

Andrea Peisker, Vorsitzende ABB e.V.:








Es ist 5. Mai und es Aktionstag beim Allgemeinen Behindertenverband Land Brandenburg.

Gut, dass man sich auf bestimmte Dinge in unserer - von Veränderungen geprägten Zeit eben doch verlassen kann.

Sie verlassen sich auf den ABB e.V., dass er den alljährlichen Europäischen Aktionstag für die Gleichstellung und Teilhabe und gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen nutzt, um mit klaren Worten und deutlichen Aktionen auf die Probleme von Menschen mit Behinderungen hinzuweisen.

Wir verlassen uns auf Sie, dass Sie uns bei diesen Aktionen aktiv durch Ihre Mitwirkung und Ihr Interesse unterstützen.

Deshalb begrüße ich Sie alle herzlich und freue mich, heute anlässlich des Protesttages hier Mitstreiter aus der Weite des Landes begrüßen zu können:

Frankfurt (Oder)

Rathenow

Eisenhüttenstadt

Eberswalde

Nauen

Oranienburg

Königs Wusterhausen

dem Landkreis Spree-Neiße

und natürlich auch aus der Landeshauptstadt Potsdam

Und wir gemeinsam können uns nach wie vor darauf verlassen, dass uns (leider muss man einfügen) die Themen für diesen Protesttag noch lange nicht ausgehen werden.

Dennoch war uns als Veranstalter das 21. Jahr unseres jährlichen Aktionstages mal wieder eine „Frischzellenkur“ wert und deshalb finden wir uns heute an diesem neuen Ort, im besonderen Ambiente eines Planetariums zusammen.

Planetarium (griech.-lat. Planetenmaschine) bezeichnete ursprünglich ein handliches  Gerät zur Veranschaulichung des Planetenlaufs.

Das Besondere ist: Mit einem Planetarium kann man sowohl einen Blick ganz weit in die Ferne (im übertragnen Sinne „in die Zukunft“), aber auch einen Blick ganz weit zurück (sozusagen in die erdgeschichtliche Vergangenheit) wagen. Und das unabhängig von der aktuellen „Großwetterlage“.

Dies entspricht in etwa dem Denkschema des Allgemeinen Behindertenverbandes Land Brandenburg e.V., wenn es um die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen geht:

Man muss die Vergangenheit kennen und die Gegenwart analysieren, wenn man etwas für die Zukunft ändern will.

Und man darf sich dabei nicht von Gegenwind beirren lassen.

Auch wir können nicht die Zukunft aus den Sternen lesen, aber wir hoffen, dass unsere Forderungen nicht erst „Lichtjahre entfernt“ umgesetzt werden und auch nicht, dass Vieles vom Erreichten nur ein „Kometenschweif am Horizont“ ist und schnell verglüht.

Und gleichzeitig lässt eine solche Veranstaltung in einem Planetarium einige Wortspielereien zu, die Sie auch gern auf den ABB e.V. übertragen dürfen:

Die Sterne lügen nicht!

Mit uns erleben Sie den Himmel auf Erden!

Oder:

Wir holen Ihnen heute die Sterne vom Himmel! – und ehren zuvor einen anderen Negativ-„Star“

Sie werden mir Recht geben – auch das wären schöne Titel für unseren Aktionstag gewesen, aber wir fanden es dann doch passender, hier unzweideutige Worte zu wählen und halten es wie alle Interessenvertretungen von Menschern mit Behinderungen am heutigen Tag mit dem bundesweiten Motto:

„Jede Barriere ist eine Barriere zu viel!“

Art. 3 des Grundgesetzes fordert die: „… volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft …“.

Auch nach Art. 9 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Hindernisse und Zugangsbarrieren zu beseitigen.

Das Schlagwort heißt: Inklusion.

Wenn Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen kann – und zwar von Anfang an und unabhängig von seinen individuellen Fähigkeiten – dann bedarf es einer Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt, die bewusst die Vielfalt anerkennt und die Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen - unabhängig von einer Behinderung - in den Vordergrund stellt.

Soweit die Theorie.

Barrierefreiheit ist eine wesentliche Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft.

Wie facettenreich und relevant eine Barriere tatsächlich sein kann, wird oft erst im Alltag erkannt und verstanden und ein Aktionstag allein würde nie genügen, hier das Spektrum aufzuzeigen.

Wir tun dies seit 21 Jahren mit prägnanten und manchmal unfassbaren Beispielen. Einige davon können Sie im Hintergrund parallel verfolgen.

Es geht nicht nur um unebene Wege für Gehbehinderte oder für Sehbehinderte nicht erkennbare Hindernisse.

Es geht auch um Erschwernisse bei dem Weg zu einer optimalen Bildung oder Ausbildung oder auch um tatsächliche Selbstbestimmung die eigene Person oder den eigenen Lebensentwurf betreffend.

Es geht genauso um unüberlegte „Verschlimmbesserungen“ vorhandener Dinge: Wenn im Land Brandenburg Ärzte nicht mehr für Jedermann erreichbar sind, weil man aus der Not heraus froh ist, dass sich überhaupt ein Mediziner aufs platte Land wagt und man dann meint, nun nicht auch noch Vorschriften für die Erreichbarkeit der Praxis machen zu können.

Wenn Bahnstrecken stillgelegt oder mühsam erkämpfte barrierefreie Linienbusse mangels Finanzen nicht mehr alle Dörfer eines Landkreises anfahren und durch (gut gemeinte, aber schlecht durchdachte) kleine Bürger-Rufbusse ersetzt werden sollen, dann bleibt Erreichtes auf der Strecke.

Denn oft ist der Rufbus zwar wirtschaftlich geeigneter, weil kleiner, aber gleichzeitig auch nicht barrierefrei nutzbar.

Derlei Beispiele gibt es viele.

Darum möchten wir gemeinsam mit den vielen Betroffenen im Land Brandenburg an Tagen wie den heutigen im Besonderen den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft aktiv gestalten und die Öffentlichkeit auf die Barrieren im Land aufmerksam machen.

Ein offenkundig wirksames Mittel hierfür ist seit einigen Jahren unser Negativpreis „Betonkopf Brandenburg“, der auch in diesem Jahr wieder verliehen werden soll - besser: verliehen werden muss.

Glauben Sie mir: Dieser Preis wird tatsächlich schon gefürchtet!

Ich zitiere aus einem Schreiben einer Behörde: „Wir bitten von einer Nominierung zu Ihrem Negativpreis abzusehen…“.

Ich wurde aber auch schon von einem Vertreter einer anderen Behörde persönlich angesprochen, der eine Lösung zusagte mit den Worten: „Also, wir wollen ja nicht irgendwann mal als Betonkopfkandidat dastehen.“

Diese Äußerungen zeigen uns: Das Instrument Betonkopf wirkt!

Wir können aber gleichzeitig beruhigen: Niemand muss etwas befürchten, der sich an Recht und Gesetz hält.

Aber: Selbst wenn wir immer wieder vorgehalten bekommen, dass es doch der Regelungen genug gäbe und aus gesetzlicher Sicht umfassend für Barrierefreiheit gesorgt würde und solange andererseits aber immer wieder Maßnahmen und Projekte auf unserem Tisch landen, bei denen aus den unterschiedlichsten Gründen dagegen verstoßen wurde und dadurch Menschen mit Behinderungen benachteiligt werden, solange halten wir diese Form der öffentlichkeitswirksamen Darstellung für sinnvoll und daran fest.

Magnus Gottfried Lichtwer, Jurist, Preußischer Regierungsrat und einer der bedeutendsten Fabeldichter des 18. Jahrhunderts hat den Satz geprägt:

„Was hilft Gesetz, was helfen Strafen, wenn Obrigkeit und Fürsten schlafen?“

Lichtwer hatte in seiner Zeit einen Ruf, der heute, 250 Jahre später ein wenig auch auf den ABB e.V. übertragbar sein könnte:

Durch die Originalität seiner Themen wusste er sich große Geltung zu verschaffen, obwohl einige seiner hundert Gedichte wegen ihres aggressiv aufklärerischen Gehalts sogar von der Zensur beschnitten wurden.

Dennoch zählte selbst Geheimrat Goethe ihn unter „die besten Köpfe“ – nun gut, diese Ehre wird uns nicht mehr zuteil.

Goethe hat aber auch mal gesagt:

„Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt, muss die Gegend verlassen, wo sie gelten.“

Das wiederum klingt nach dem ABB-Betonkopf und als ob Geheimrat Goethe ihn gut finden würde, wenn er ihn heute erleben dürfte.


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www.betonkopf-brandenburg.de

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