2013

Impuls Aktionstag 3. Mai 2013

Andrea Peisker, Vorsitzende ABB e.V.:








Liebe Freunde und Mitstreiter,

schön dass Ihr alle hier seid, im Filmtheater Thalia in Potsdam, zum diesjährigen europaweiten Protesttag von Menschen mit Behinderung für Gleichstellung und Teilhabe, gegen Diskriminierung.

Ich bin entscheidend!

Das ist das Motto des Protesttages in diesem Jahr und ausgegeben hat es die Aktion Mensch.

Und damit nicht genug, denn die Aktion Mensch hat auch drei Schwerpunkte vorgeschlagen, von denen einer unserem Verband geradezu auf den Leib geschneidert scheint.

Partizipation an politischen Prozessen

Es geht also um Teilhabe, denn nichts anderes bedeutet das Wort Partizipation. Zugegeben, im Zeitalter der Inklusion und der leichten Sprache hätte es auch das einfache deutsche Wort Teilhabe gemacht, aber Partizipation klingt ja auch nicht schlecht.

Ich bin seit mehr als zwanzig Jahre in unserem Landesverband aktiv tätig und glaubt mir mir – mit wohlklingenden Worten kenne ich mich aus.

Von der Integration über die Konvention zur Inklusion, dazwischen zeitlich ein kurzer Stopp beim Paradigmenwechsel.

Aus den WfB wurden WfbM, aus der Aktion Sorgenkind die Aktion Mensch und weil es denn nun einmal so ist, werden sicherlich bald viele Integrationskitas neue Briefbögen drucken und sich in Inklusionskitas umbenennen.

Doch eigentlich – hinter allem Wortgeklingel – geht es heute wie vor mehr als zwanzig Jahren noch immer um die gleichen Dinge. Um den Anspruch von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt und ohne Benachteiligung in der Mitte der Gesellschaft zu leben.

Ohne wenn und aber, ohne als Bittsteller auftreten zu müssen und ohne das Gefühl zu haben, mit diesem Anspruch ein lästiger Kostenverursacher zu sein. Dafür sind wir heute hier.

Es hat sich in dieser Zeit vieles verbessert, manches verschlechtert und einiges ist genau so geblieben, wie ich es noch nie mochte und schon immer gern geändert hätte.
Und weil wir heute in einem Kino sind, sei mir das eine oder andere Zitat aus einem großen Kinofilm gestattet. Ab und an möchte ich noch immer sagen:

Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden.

Eins aber habe ich gelernt:

Wir bohren dicke Bretter und vieles geht viel zu langsam. Zwei Beispiele:

Am 13. Februar 2013 ist die Neufassung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes in Kraft getreten. Es erfüllt nicht all unsere Wünsche, aber es enthält eine Reihe von Verbesserungen gegenüber der von unserem Verband abgelehnten Vorgängerregelung. Am wichtigsten ist wohl, dass dieses Gesetz nun auch für die Kommunen des Landes Brandenburg gilt. Das ist ein deutlicher Fortschritt!

Die Forderung nach Einbeziehung der Kommunen in den Geltungsbereich des Gesetzes hat unser Verband bereits bei der Verabschiedung des ersten Gleichstellungsgesetzes im Frühjahr 2003 öffentlichkeitswirksam erhoben. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an unsere damalige Aktion: Roten Karte für die Landesregierung.

Es hat fast exakt 10 Jahre gedauert, bis eine unsere wichtigsten Forderungen aus dem Jahre 2003 aufgegriffen und umgesetzt wurde.

Ein zweites Beispiel:

Im März 2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft.
Sie hilft uns in mancher Diskussion mit den Uneinsichtigen oder auch nur den Unwissenden in Politik und Verwaltung.

Begonnen hat die Arbeit an dieser Konvention im Jahre 2001 und wie es jetzt aussieht, werden viele weitere Jahre vergehen, bevor der Gedanke der Inklusion und die Vorgaben der Konvention Eingang in viele einzelne Bundes- und Landesgesetze gefunden haben.

Wir werden diesen Prozess im Land Brandenburg konstruktiv aber – wo es sein muss – auch kritisch begleiten und bieten unsere Mitarbeit an.
Oder um es noch einmal mit einem abgewandelten Filmzitat, diesmal aus dem Film der Pate, zu sagen:

Wir machen allen Akteuren ein Angebot, das sie nicht ablehnen können.

In Sachen Inklusion hat die inklusive Bildung in den letzten Monaten einen dominierenden Platz in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten. Wir verfolgen diesen Prozess mit einiger Sorge und unbeantworteten Fragen:

Wo bleiben die Maßnahmen, um eine inklusive Bildung auch für Kinder mit Möbilitätseinschränkung umfassend zu gewährleisten? Wann wird auch der rollstuhlfahrende Schulanfänger seine Schule am Wohnort inklusiv besuchen können?

Wird der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung personell und finanziell so abgesichert, dass die Betreuungs- und Unterrichtsqualität gegenüber der Beschulung in Förderschulen nicht leidet?

Wie sichert man nach der inklusiven Schule ein Angebot für einen inklusiven Hort zur Nachmittagsbetreuung? Ist für die inklusiv beschulten Kinder des jetzigen Pilotprojekts auch die Möglichkeit eines nahtlosen Übergangs zu inklusiven weiterführenden Schulen gewährleistet?

Und nicht zuletzt:
Welchen Stellenwert wird die Inklusive Bildung bei der angekündigten Novellierung des Brandenburgischen Schulgesetzes haben?

All diese Fragen bedürfen einer Antwort.

Aber auch auf einem der klassischen Betätigungsfelder unseres Verbandes – der Barrierefreiheit – gibt es in den nächsten Monaten viel zu tun.

Das Land Brandenburg überarbeitet derzeit die geltende Bauordnung.
Ein Referentenentwurf dazu liegt bereits vor. Aus unserer Sicht gehören die Vorschriften zum barrierefreien Bauen in der Brandenburgischen Bauordnung zu den für Menschen mit Behinderungen wichtigsten gesetzlichen Regelungen unseres Landes.

Wir werden deshalb die Novellierung der Bauordnung genau verfolgen und prüfen, ob die angestrebte Harmonisierung von baurechtlichen Vorschriften Brandenburgs mit den im Land Berlin geltenden Regeln die in unserem Land bisher bestehenden Standards für das barrierefreie Bauen aus Sicht von Menschen mit Behinderungen positiv oder negativ verändert.

Sie sehen: Wir nehmen teil an den politischen Prozessen dieses Landes und wir wollen das im Interesse von Menschen mit Behinderungen im Land Brandenburg auch zukünftig tun.

Liebe Freunde und Mitstreiter!

Ein Protesttag ist kein Protesttag, wenn er das Vollbrachte feiert. Protest kommt – wenn man dem Internet glauben darf - aus dem Spätlateinischen und steht unter anderem für laut verkünden.

Und genau das wollen wir jetzt tun. Wir wollen laut verkünden, was Menschen mit Behinderungen im Land Brandenburg uns als Kandidaten für den diesjährigen Betonkopf genannt haben und wir wollen laut verkünden, wer der diesjährige Preisträger ist.

Doch zuvor möchte ich all jenen danken, die sich mit ihren Vorschlägen an der diesjährigen Kandidatensuche beteiligt haben. Wir würden uns freuen, wenn ihr weiter mit offenen Augen durch das Land geht und uns das mitteilt, was Euch ärgert.

Frei nach Forrest Gump ist für uns der alljährliche Betonkopf von der Nominierung bis zur Preisverleihung  -  wie eine Pralinenschachtel: man weiß nie was man kriegt.

Wir brauchen immer wieder jedes Jahr aufs Neue eure Unterstützung.

Ich möchte auch allen Anwesenden danken, die sich auf den Weg zu dieser Veranstaltung gemacht haben. Aus Eisenhüttenstadt, Rathenow, Nauen, Forst, Oranienburg, Bad Belzig, Eberswalde, Königs Wusterhausen, Michendorf, Berlin und der Landeshauptstadt Potsdam.

Vielen Dank, dass Ihr alle gekommen seid!


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www.betonkopf-brandenburg.de

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