2015

Impuls Aktionstag 5. Mai 2015

Andrea Peisker, Vorsitzende ABB e.V.:

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde,

es ist wieder der 5. Mai und ich freue mich, Sie alle zu unserem Aktionstag begrüßen zu können.

Wir sind ein Verband der sich einmischt in die Behindertenpolitik da oben, für die da unten.

Wir haben Ecken und Kanten und scheuen uns nicht in der Öffentlichkeit auf Missstände hinzuweisen – auch und gerade an unseren Aktionstagen wie dem heutigen.

Das hat uns nicht nur freundliche Worte eingebracht.

Lohnt sich dass oder sollte man hier und da eher statt Änderung zu fordern doch lieber um wohlwollende Prüfung bitten???

Ja, es lohnt sich und wir können es beweisen!

In vielen Fällen hat man in der Vergangenheit auf unsere Forderungen und unsere Kritik mit Unverständnis und mitunter sogar mit offener Ablehnung reagiert.

Entscheidend ist für uns aber: Unser Einsatz hat gewirkt – wenn auch häufig mit einer zeitlicher Verspätung.

Wir sollten uns daher an unserem heutigen Aktionstag ein kleines bisschen Zeit nehmen unsere Siege zu feiern:

Wir waren einer der wenigen Behindertenverbände, der sich 2003 vehement gegen die erste Fassung des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes gewandt hat. 2013 hat man das Gesetz geändert und die meisten unserer 10 Jahre alten Kritikpunkte aufgegriffen.

Wir haben 2011 die Landesregierung kritisiert, weil die Vergabe europäischer Fördermittel für touristische Vorhaben nicht an das Kriterium der Barrierefreiheit gebunden war.

Das war und damals einen Betonkopf für das Wirtschaftsministerium wert.

Im Februar diesen Jahres – konkret am 26.02.2015 - hat das Land eine Richtlinie zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur erlassen. Für die Förderung touristischer Vorhaben findet sich dort der schöne Satz:

„Alle touristischen Vorhaben müssen den Nachweis der Barrierefreiheit… erbringen.“

Oder ein anderes Beispiel:

Für unseren Verband war die Existenz und Unabhängigkeit von Behindertenbeauftragten auf den unterschiedlichen kommunalen Ebenen immer ein wichtiges Gut.

Im März 2011 haben wir uns mit einem Brief an den damaligen Sozialminister Herrn Baaske gewandt und gegen die Zusammenlegung des Amtes des Landesbehindertenbeauftragten mit dem des Referatsleiters Behindertenpolitik protestiert. Wir haben dem Minister vorgeworfen:

„Sie vereinen in einer Person zwei nicht vereinbare Aufgaben. Wer als Leiter des Referates Behindertenpolitik Entscheidungen der Landesregierung vorbereitet und nach Weisung umsetzt, kann nicht gleichzeitig ein neutraler Beobachter und ggf. auch Kritiker eben dieser Behindertenpolitik des Landes sein.“

Genützt hat es nicht. Wir hatten zwar noch im gleichen Jahr die Gelegenheit dem Minister unsere Kritik auch in einem persönlichen Gespräch nahe zu bringen, an der getroffenen Entscheidung hat sich nicht geändert.

Umso mehr freut es uns, dass die neue Sozialministerin des Landes diese – zu unserer Überzeugung grundfalsche - Entscheidung ihres Vorgängers vor einigen Wochen rückgängig gemacht hat. Der Landesbehindertenbeauftragte wird zukünftig nicht mehr als Referatsleiter Behindertenpolitik tätig sein, sondern vielmehr in einer Stabsstelle direkt der Ministerin unterstehen.

In der zu dieser Entscheidung gehörenden Pressemitteilung heißt es dann wörtlich:

„Mit dieser Zuordnung komme ich den langjährigen Forderungen vieler Verbände und Organisationen nach“

Das sind Erfolge, die uns Kraft geben und Zuversicht, dass unser Einsatz etwa bewirken kann für Menschen mit Behinderungen in diesem Land.

Die Ehrlichkeit gebietet es, an einem solchen Aktionstag auch kritisch zu vermerken, in welchen Fällen unsere Mühen ergebnislos geblieben sind. Wir werden im Anschluss an diese Veranstaltung das Gebäude des Landtages des Landes Brandenburg besichtigen.

Sie erinnern sich - den Betonkopf des Jahres 2013 haben wir für die nicht barrierefreie Gestaltung des Plenarsaales eben jenes Landtagsgebäudes vergeben. Erreicht haben wir mit dieser Preisvergabe nichts. Im Jubel um die Eröffnung des Landtages ist unsere Kritik in den folgenden Monaten nach der Preisverleihung untergegangen.

Ob wir auch hier irgendwann einen späten Triumph feiern können?

Wir werden sehen.

Liebe Freunde!

Was wäre also ein solcher Aktionstag, ohne die Verantwortlichen des Landes eben an ihre Verantwortung zu erinnern.

Die neue Landesregierung ist seit etwa einem halben Jahr im Amt. Da ist es an der Zeit schon einmal einen Blick in den Koalitionsvertrag zu werfen und nachzufragen, wann die dort angekündigten Vorhaben umgesetzt werden sollen.

SPD und Linke haben im vergangenen Jahr unter anderem folgendes vereinbart und im Koalitionsvertrag festgeschrieben:

„Menschen mit Behinderung gehören in die Mitte der Gesellschaft.

Die Koalition wird die Barrierefreiheit weiter verbessern und die bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ausbauen.

Wir wollen weg vom Prinzip der Fürsorge, hin zu gleichberechtigter Beteiligung. Die Koalition wird alle Anstrengungen unternehmen, die zu einer stärkeren Arbeitsmarktöffnung für Menschen mit Behinderungen und zu ihrer besseren Integration führen.

Wir streben eine Erhöhung des Landespflegegeldes um 30 Prozent an.“

Wir fordern die Landesregierung auf, dieses Versprechen alsbald in die Praxis umzusetzen. Eine solche Anpassung ist dringend notwendig.

Während z.B. gehörlose Menschen in Brandenburg derzeit ein monatliches Pflegegeld von 82,00 EUR erhalten, beträgt es in Berlin aktuell 117,00 EUR, in Sachsen 103,00 EUR.

Mit einer Erhöhung des Landespflegegeldes ist es allerdings nicht getan. Wir fordern die Landesregierung auf, im Zuge der Umsetzung ihrer Koalitionsvereinbarungen das Landespflegegeldgesetz insgesamt einer Prüfung zu unterziehen.

Die Betroffenen brauchen beispielsweise Rechtssicherheit in Bezug auf die Anrechnung von neu geschaffenen gleichartigen Leistungen – u.a. der Kostenübernahme für Gebärdendolmetscher durch das Land oder Krankenkassen.

Es gib ein weiteres wichtiges Projekt, in dem wir jetzt unsere Stimme erheben müssen.

Die Landesregierung setzt in der laufenden Legislaturperiode auf eine Pflegeoffensive und will die „Pflege im Quartier“ fördern. Dieses Ziel begrüßen wir. Betreuungsangebote vor Ort sind für Menschen mit Behinderung von großer Bedeutung

Wir haben aber auch den Eindruck, dass die bisherigen Strukturen insbesondere im Bereich niederschwelliger Betreuungsangebote quantitativ und qualitativ maßgeblich von den Bedürfnissen älterer und demenzkranker Menschen bestimmt worden sind.

In diesen Strukturen finden sich jüngere Menschen mit geistiger Behinderung unterschiedlicher Qualität nur schwer zurecht. Gleichzeitig erkennen wir an, dass der Aufbau eines flächendeckenden Betreuungsangebotes für diesen Personenkreis nicht möglich sein wird. Dazu gibt es einfach nicht die notwendige Zahl von Nachfragern vor Ort.

Wir erwarten daher, dass die seit dem 01.01.2015 gegebenen rechtlichen Möglichkeiten zur Anerkennung von Angeboten für zusätzliche Entlastungsangebote durch die Landesregierung auch mit maßvollem Blick auf die Interessen jüngerer Menschen mit Behinderung umgesetzt werden.

Es muss im Rahmen der Anerkennungsverfahren möglich werden, dass Alltags- und Pflegebegleiter auch aus dem weiteren Bekannten und Freundeskreis Betroffener gewonnen werden können.

Die Erweiterung der bereits vorhandenen Strukturen der niederschwelligen Betreuungsangebote um eine Komponente niederschwelliger Entlastungsangebot mit ähnlichen strukturellen und qualitativen Anforderungen entspricht nicht den Bedürfnissen jüngerer Menschen.

Hier muss die Landesregierung nach Möglichkeiten suchen, die die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen stärkt und sie nicht unter Zurückstellung vorhandener Ressourcen der Nachbarschaftshilfe in quasi-kommerzielle Strukturen zwingt.

Für entscheidend halten wir hier, dass die Anforderungen zur Qualitätssicherung von niederschwelligen Entlastungsangeboten nicht überspannt werden. Es muss den vor Ort vorhandenen Strukturen der Behindertenselbsthilfe – auch unseren

Mitgliedsvereinen - ermöglicht werden, das gegebene Netzwerk Betroffener und Angehöriger untereinander zur Erbringung von Entlastungsangeboten unter Einbeziehung von Leistungen der Pflegeversicherung zu nutzen.

Im Bereich niederschwelliger Betreuungsangebote sind derartige Versuche häufig an den qualitativen Anforderungen zur Zulassung eines solchen Dienstes gescheitert.


Liebe Freunde!

Vor einigen Tage hat die Landesregierung eine Bilanz zur Umsetzung des Behinderpolitischen Maßnahmepaketes des Landes Brandenburg vorgelegt.

Das ist ebenso erfreulich, wie die gleichzeitige verkündete Absicht, dieses Maßnahmepaket fortzuschreiben. Wir wollen und werden diesen Prozess konstruktiv und kritisch begleiten. Wir freuen uns über jede Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen im Land Brandenburg.

Wie immer aber steckt der Teufel im Detail. Schon beim ersten Lesen des 76-seitigen Berichts scheint es notwendig, den einen oder anderen Erfolg nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen.

Es gibt noch viel zu tun.

Vielen Dank!


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